Joshi schnappt sich einen Bambusstab und ich beginne fröhlich zu pfeifen, während wir mit angenehm leichten Rucksäcken eine breite Straße hinein in den gemäßigten Regenwald laufen, wo die Straße bald endet und wir auf einen Pfad tiefer in die lebendigen Natur hineinwandern. Grüne Bäume, Farne, mosbewachsene Erde, Bambus und ein dichtes Blätterdach umgibt uns,während wir die seltene unberührte Natur genießen. Hier gibt es keine geordnete Aufforstung, stattdessen wachsen die unterschiedlichsten Bäume, wild übereinander, nebeneinander und aneinandervorbei. Abgestorbene Bäume werden langsam von innen ausgehöhlt, während die Vögel und Käfer sich das Holz zu nutze machen und nur ein schmaler Pfad, und ab und an ein paar Pferdespuren, von menschlichem Einfluss zeugen, der hier zum Glück quasi nicht vorhanden ist. Joshi und ich laufen im Gänsemarsch über den erdigen Pfad, balancieren über Holzstämme, während die Sonnenstrahlen ab und zu durch das natürliche Gewächshaus bis zu uns vordringen. Anfangs ist der Pfad leicht zu folgen, bis wir an einen Fluss gelangen. Wir bleiben am steinigen Flussufer stehen, wo bereits zwei junge Amerikanerinnen aus Seattle, einen möglichst trockenen Weg, über den Fluss suchen. Wir schauen uns um, bevor wir die beiden jungen Frauen überholen. Joshi, vor mir, springt recht gekonnt, auf seinem Bambusstab abstützend, über die Steine und ich folge ihm etwas vorsichtiger. Die Steine leuchten hell in der Sonne und das klare Wasser rauscht unter unseren Wanderschuhen hindurch. Kurz vor dem gegenüberliegenden Ufer rutsche ich plötzlich ab und blamiere mich fast vor den Amerikanerinnen, die wir wieder für ein Fotostopp vorlassen, um auf der anderen Seite des Rio Cochamo tiefer hinein in das dichte Grün zu laufen. Nach weiteren Wanderminuten lassen wir ein paar Gauchos vorbei, die gerade ihre Rinder nach vorne treiben, bevor sich der ausgetretene Pfad auflöst und wir uns durch das Dickicht vorkämpfen müssen. Plötzlich öffnet sich die grüne Wand und wir erkennen vor uns einen smaragdgrünen Fluss, in dem am Rand die Steine kupferrot schimmern. Wir steigen vorsichtig das Ufer hinab, rutschen über die feuchte Erde, auf die roten Steine, wo wir uns am Rande des Flusses niederlassen und eine letzte Pause einlegen, bevor es gestärkt über Bretterbohlen das letzte Drittel zu bewältigen gilt.
Gut gelaunt und fasziniert von den intensiven Farben der Natur marschieren wir weiter über mosbewachsene Baumstämme, unter denen klare Bäche plätschern. Schon lange laufen wir nur mit T-Shirt und kurzer Hose , da es unter dem hellgrünen Laubbadin angenehm warm geworden ist. Unsere Wanderschuhe bahnen sich einen Weg, über den teilweise schlammigen Pfad, der jetzt näher am Lauf des grün schimmernden Rio Cochamo verläuft. Wir schwitzen ganz schön und Joshi hat nur ein Oberteil und die lange Reisehose dabei, weshalb er ein paar Mal geneigt ist, in das schimmernde Wasser zu springen. Nach ungefähr 4 Stunden endet der Wanderweg vor einem geschlossenen Holztor, an welchem wir uns verdutzt umschauen. Joshi entdeckt als Erster den Flaschenzug, der uns über den, an dieser Stelle seeartigen Fluss zum Campingplatz führen soll. Am geschätzt 4 Meter hohen Flussufer halten zwei Drahtseile, eine rechteckige, 1 auf 2 Meter schmale Holzkiste, schaukelnd über dem dunkelgrün, leuchtendem Gewässer. Ausdrücklich warnt ein Schild davor nur nacheinander den Seilzug zu bedienen. Sofort springt Joshi begeistert in die klapprige Konstruktion und schon saust er mit Schwung hinab Richtung Flussmitte, wo er frei die Arme ausbreitet, bevor ich von der anderen Seite aus einen erschrockenen Ausruf und dann ein Platschen höre. Besorgt rufe ich Joshi zu :,, Alles ok?''
,,Nein der Bambusstab ist heruntergefallen'' schleudert er sauer entgegen.
,,Solange du nicht hinterherspringst '' lache ich und mache mich auf, unsere Rucksäcke besser als den Bambusstab, im mittlerweile zurückgekehrten Flaschenzug zu verstauen. Nervös beobachte ich, wie die Holzkiste wild hin und her schaukelt, während ich für unsere Sachen bete. Zwei durchnässte Rucksäcke mitsamt Wertsachen, wäre, milde Ausgedrückt, ungeschickt. Nachdem unsere Rucksäcke die gefährliche Flussmitte überquert haben, ziehen Joshi und ich die Sachen vorsichtig ans Ufer, ehe Joshi die Holzkiste zurück zu mir schickt. Ich steige etwas unbeholfen in die Kiste und lasse mich von Joshi hinüber ziehen. Erst nach ein paar Metern traue ich mich, wie Joshi die Arme auszubreiten und den Fahrtwind, sowie das klare Wasser unter mir, zu genießen. Fröhlich rufend komme ich als letztes am anderen Ufer an, wo wir noch stolz einen Eisvogel erspähen, die hier viel größer als in Europa sind, bevor wir uns wieder unsere Rucksäcke aufsetzen und einem kleinen Pfad hinein in ein Wald folgen.
Entlang hoher Bäume marschieren wir die letzten Meter, bis wir eine große runde Lichtung erreichen. Auf der weiten Ebene grasen Schafe, Rinder und Pferde , am Hang stehen mehrere kleine Holzhäuser, alles umgeben von den ringsherum in den Himmel ragenden weiß leuchtenden Granitbergen. Wir öffnen das Holztor und laufen zu den Holzhütten hoch, wo wir erstmal niemanden vorfinden. Einsam grasen die Rinder über die Weide und die eleganten Pferde am Hang und still stehen die Häuser im sanften Wind. Die Türen stehen allerdings offen, auch wenn wir weit und breit keine Menschen Seele erkennen können. Ein paar Mal klopfen und rufen wir, bis uns eine ältere, geschäftige Frau entdeckt und uns erklärt, dass wir überall auf dem Gelände campen dürfen. Wir stellen unser Zelt also zwischen die frei herumlaufenden Schafe und Rinder, bevor wir uns gemütlich auf einen Baumstumpf setzen und das stille Panorama wirken lassen. Majestätisch ragen um die grüne Weide herum, von der Sonne beschienene Granitberge, weit über die Baumgrenze hinauf in den Himmel. Wir entdecken einen weiteren Greifvogel, der unbekümmert in einem Baum sitzt, bevor wir gemütlich den Abend verstreichen lassen. Gelassen beobachten wir, wie die Sonne untergeht, der blaue Himmel langsam dunkler wird und genießen die unendliche Ruhe nach einer wunderbaren Wanderung durch tiefen, unberührten Urwald.
Am nächsten Morgen wartet eine weitere Wanderung zu einem "Amphitheater" , worauf wir schon sehr gespannt sind. Nachdem wir ausgeschlafen haben, laufen wir los. Joshi , diesmal ohne Wanderstab, dafür auch ohne Rucksack, da wir diese im Zelt gelassen haben, läuft voraus, einen schmalen, schwer zu erkennenden Pfad entlang. Bald führt uns dieser in einen dichten Wald, wo der Pfad endgültig nicht mehr zu erkennen ist. Zu spät sollten wir die roten Fähnchen entdecken. Ohne Plan folgen wir, Joshi weiter vorauslaufend, unsichtbaren Spuren. Wir schlagen Äste auf die Seite, bis wir glauben auf dem richtigen Weg zu sein. Wir steigen über Wurzeln und abgebrochene Stämme und klettern an den Abgrund eines Flusses, wo ein runder, mosbewachsener Baumstamm eine "Brücke" ans andere Ufer bildet. Das muss wohl der richtige Weg sein, denken wir uns und Joshi setzt den ersten Schritt auf den Baumstamm. Unter ihm rauscht das Wasser , während er schnell auf die andere , ebenfalls dicht bewachsene Flusseite zulauft. Zu schnell. Kurz vor Ende des Baumstammes rutscht Joshi ab und stürzt ein Meter hinab auf die schlammige Erde, kann sich aber noch an ein paar Gräsern festhalten, sodass er mit dem Schock davon kommt. Während ich Joshi folge und wir bemerken, dass es auf der anderen Seite nicht weiter geht , mache ich es ihm fast nach, bevor ich mich mit einem Sprung ans Ufer rette. Da hier tatsächlich kein durchkommen ist, klettern wir wieder zurück, wo der Pfad aufgehört hat und entdecken nun doch noch die roten Fähnchen. Der Weg führt uns steil den Berg hinauf, weiterhin durch wilden Wald, wo wir froh sind gute Wanderschuhe und kein Gepäck zu haben. Bald schon binden wir unsere Jacken um die Hüften und wandern schwitzend mit T-Shirt die steilen Pfade hinauf, wo wir nach ca. eineinhalb Stunden zwei Wegweiser entdecken. Der eine zeigt Richtung Cascada "Wasserfall" und gibt 15 min. Wanderdauer an, sodass wir beschließen zuerst zum Wasserfall und dann zum Amphitheater zu marschieren. Joshi voran, kämpfen wir uns im Gänsemarsch über Wurzeln, vorbei an schiefen Bäumen, bis wir die letzten Meter hinab auf den steinigen Grund des Wasserfalls klettern. Joshi kommt zuerst an, reist die Arme in die Luft und beginnt sofort auf die Granitwand, über welche das Wasser hinabstürzt, zuzuspringen. Staunend folge ich ihm etwas bedächtiger. Als ich auf den Steinen ankomme, schaue ich mit offenem Mund nach oben. Ich stehe quasi an der Stelle, wo das Wasser nach hunderten Metern ankommt, jedoch befindet sich nur ein kleiner Rinnsal vor meinen Füßen, die auf sicherem gelb-orangenen Steinen stehen, dafür erstreckt sich vor mir eine ungefähr 10 Meter breite Granitwand, auf der das Wasser hinab fließt und rot orangene Streifen hinterlässt. Der Granit ist über die Jahre hinweg vom Wasser geschliffen und geformt worden, sodass er immer wieder Aushöhlungen, Schrägen, Spalten oder Plattformen aufweist, die Joshi auch sogleich zum klettern nutzt. Mir ist das, ehrlich gesagt, etwas riskant, weshalb ich unten stehen bleibe und versuche Joshi davon zu überzeugen nicht die gesamte Felswand hinaufzusteigen, was mir auch geradeso gelingt. Nach dem Besuch der imposanten, uralten Granitwand folgen wir dem Weg hinauf zum Amphitheater, welcher noch steiler als Anfangs aufwärts führt und unsere gesamten Kletterkünste und die Markenqualitat unserer Wanderschuhe erfordert.
Wir überholen nach wenigen Meter die US-Amerikaner aus Seattle, welche den Wasserfall ausgelassen haben und so uns überholen konnten, bevor wir selbst, stark ins Schwitzen geraten. Diesmal gehe ich voran, den wurzelübersäten, trockenen und erdigen Pfad hinauf. Der Weg führt immer steiler bergauf und der Abgrund neben uns gewinnt an Höhe, als ich plötzlich abrutsche. Die Erde unter meinen Füßen gibt nach und ich falle, in der einen Hand die Wasserflasche, ins Leere, wo mich nur meine am Ast klamernde rechte Hand hält.
"Soll ich dir die Flasche abnehmen ?" fragt Joshi erschrocken, was ich aber voller Stolz ablehne und mich zurück auf den Weg schwinge.
Um das kurz einzufügen: Gerade sitzen wir, zwei Wochen später im Bus, und ich gebe zu, dass es mein Stolz war, weshalb ich die Flasche den Rest des Weges getragen habe und die Situation wirklich komisch ausgesehen haben muss, wie ich am Ast gehangen bin. Jedenfalls erreichen wir nach einer weiteren Halben Stunde Klettern und der Überquerung der Felswand, mithilfe eines Seiles, von wo aus wir den Wasserfall hinunter schauen können, unser Ziel, das "Amphiteatro".
Als wir aus der Baumgrenze heraustreten, erstreckt sich vor uns eine halbkreisförmige Tribüne aus weißen sonnebeleuchtetem Granit, die wahrscheinlich größte und älteste, vom Wind und Wasser geschaffene Arena. Das Granit um uns leuchtet hell weis im Schein der Sonne, während gegenuber von uns die Baumgrenze und weitere Granitgiganten in den blauen Himmel ragen. Beeindruckt setzen wir uns auf die Steinblöcke und betrachten die Landschaft unter und über uns, bevor wir den 3 stündigen Rückweg angehen.
" Ich geh noch schnell ein paar Trauben holen, hab ich voll Bock drauf. Der Bus kommt ja sowieso zu spät " sage ich zu Joshi und laufe Richtung Küste zu einer kleinen Fruteria.
Während ich mir meine Trauben aussuche, höre ich schon von weitem Motorengeräuch und mich beschleicht ein ungutes Gefühl.
"Hoffentlich war das nicht der Bus, und wenn, hoffentlich kann Joshi ihn anhalten." Bete ich, da ich nicht wissen will, wann hier der nächste Bus vorbeikommt.
Schon von weitem sehe ich Joshi, der jetzt neben dem netten Cafebesitzer steht, bei dem wir vorher Tee mit sehr süßem Limonenkuchen gegessen haben, an, das etwas nicht stimmt. Trotzdem frage ich entsetzt, mindestens drei Mal nach, ob wir wirklich so viel Pech hatten und der Bus ohne uns weitergefahren ist. Ist er. Doch wir haben Glück im Unglück, da uns, der Konditor des guten Limonenkuchens, versichert, dass Sonntags kurz darauf ein zweiter Bus ankommt, was stimmt. Diesmal bleiben wir zusammen und der Bus nimmt uns beide mit nach Puerto Varas, wo Abenteuersport lockt.
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