4. Tag Camping Los Perros -Camping Paso 6 km, 1500 Höhenmeter
Draußen ist es dunkel und der Regen beginnt wieder gleichmäßig an meine Zeltwand zu klopfen. Ich liege schon seit mindestens 3 Stunden im Zelt und döse vor mich hin, als plötzlich ein helles Licht an mein Zelt strahlt und eine kräftige Stimme mich weckt.
"Entschuldigung, sie haben noch nicht bezahlt!"
Was? verschlafen richte ich mich auf. Woher kommt das Licht? Langsam wird mir klar, dass jemand etwas von mir möchte und ich öffne die Zelttür. Klar, ich muss die Campingplatzgebuhr noch bezahlen. Gerne bezahle ich die 4300 Pesos für den sandigen Boden unter meinem Zelt, der kalten Dusche ohne Tür, sowie dem kahlen Aufenthaltsraum mit der abgesessen Holzbank darin. Und aufgeweckt hat er mich auch noch! Ich versuche wieder einzuschlafen, brauche ich doch alle Kräfte morgen, was mir diesmal nicht so gut gelingt. Die Nacht ist kaelter geworden und der Regen testet wieder Mal mein sarkophagähnliches Zelt, sodass ich es tunlichst vermeide die Wände meines Innenraumes zu berühren. Das geht allerdings nur, in dem man steif, immer in der gleichen eingeigelten Position schläft und seine vor kälte, klammen Glieder nicht bewegt. Irgendwann schlafe ich dann doch ein, und werde morgens, zum Glück ohne anklopfenden Regen geweckt. Es ist noch früh morgens und ich fühle mich viel zu verschlafen für die kommende Klettertour. Aber die Sonne kommt raus, so kann ich den nass gewordenen Schlafsack und das feuchte Zelt , zumindest ansatzweise trocknen. Mit jeder Nacht wird der Schlafsack feuchter und mir graut es schon jetzt, vor dem kalten Gletscher Wind, dabei habe ich den Pass zu diesem, noch gar nicht erreicht. Um 10 Uhr nach einem guten Frühstück, wie jeden Morgen gibts Käse mit zerbröseltem Toastbrot, wandere ich , in Begleitung von dem Ami (hab sein Name vergessen), gut gelaunt , wenn auch etwas nervös, los. Anfangs geht es wie Tags zuvor durch den feuchten Alercenwald, wo sogar ab und zu die Sonne hinundurchscheint. Das Teilstück ist laut Karte das kürzeste, aber zugleich anstrengenste, was sich bald als richtig erweisen sollte, denn die ersten Kilometer sind zum warm werden, sozusagen die Ruhe vor dem Sturm. Es geht flach voran, sodass wir uns schon fragen wo denn der Berg geblieben ist, bis wir aus dem Waldgebiet heraustreten. Feuchte Erde weicht hartem Schutt und steinigem Geröll.
Wieder Mal danke ich Gott für die Schuhe und die Einlagen, denn bisher habe ich überhaupt keine Probleme, was die Füße angeht. Bis jetzt. Während wir über das Geröll laufen werden wir langsamer und setzen unsere Schritte bedachter. Mit der Zeit weicht das Geröll , größeren Gesteinsbrocken, bis das Gelände einem Felsenmeer gleicht und ich spontan an Joshi denken muss, der demnächst zu mir nachreisen wird. Noch markieren, hohe, rote Stangen die Richtung und ich hoffe das bleibt auch so,weil ich weit und breit keinen Weg mehr ausmachen kann. Quer Feld ein, über Flüsse, und deren rutschigen Steine, klettern wir bergauf, bis die Felsen wieder kleinerem Gesteinsschutt weichen. Der Aufstieg ist unfair. Immer wieder erklimmen wir hoffnungsvoll ein Plateau, nur um festzustellen, dass ein weiterer noch steilerer Anstieg auf uns wartet. Ich setze den Rucksack ab und schnaufe durch , während ich mich umschaue. Rings um mich befinden sich weite Felder , voller großer und kleiner Steine , in grauen bis rot-orangenen Farbtönen, die hoch bis zu einem kahlen orangmellierten Berggipfel führen, hinter dem ein teils wolkenbehangener, teils blauer Himmel zu erkennen ist. In meinem Rücken, führt das Geröll steil den Berg hinab und ich bestaune das bereits geleistete Stück Weg.
Es ist erstaunlich windstill und mir ist durch das bergauf wandern sogar warm geworden. Ich blicke zu dem Ami .
" Lets go?" frage ich und er nickt.
Das letzte, aber auch steilste Teilstück wartet auf uns. Von Stein zu Stein immer den hohen roten Stäben folgend, kraxeln wir den Berg hinauf. Der Wind nimmt zu und je höher wir kommen beginnt es, trotz Sonnenschein, sogar zu schneien, während es gleichzeitig kühler wird und die Wolken langsam dichter aufziehen. Mit dem Buff Halstuch ums Gesicht gewickelt und der mittlerweile für mich typischen Eskimo Mütze, marschiere ich mit brennenden Waden, schnaufend weiter aufwärts. Der Ami meint, mitten im Aufstieg eine Pause zu machen ist moralisch ungeschickt und da hat er recht, weshalb wir uns zum nächsten Plateau quälen. Wir rasten nur kurz klettern dann weiter, bis unsere nach Atem ringende Münder offen stehen bleiben. Oben auf dem Pass pfeift uns Wind und Schnee entgegen und vor uns erstreckt sich der riesige Grey Gletscher, über den ein kompletter Regenbogen zu sehen ist.
Wir klappen schnell unsere Münder wieder zu, der Wind pfeift ganz schön heftig und bestaunen schweigend das Panaroma. Hunderte Kilometer voller leuchtendem Eis liegt zwischen den Berg-Enden, überspannt von dem Regenbogen, dem blauen Himmel und den aufziehenden Wolken. Stolz , ausgepowert und beeindruckt von dem Anblick, sowie dem kuriosen Wetter, stehen wir eine Weile so da. Schnee, Sonne , Wind, dann Windstille, der Regenbogen und die aufziehenden grauen Wolken bilden eine faszienierden Szenerie, direkt vor den gigantischen Eismassen, auf tausendfuenfhundert Metern Höhe. Stolz lassen wir uns von zwei Chilenen fotografieren, bevor wir uns an den Abstieg wagen. Ohne Wanderstocke ist der Abstieg im Prinzip reiner Selbstmord und anspruchsvoller als der Aufstieg.
Der "Weg" führt über schlammige Erde, und nassen, hohen Felsen, sowie abgetretenen Baumwurzeln. Nicht nur einmal stürzen wir beinahe den Abhang hinunter und tatsächlich verliert der Ami vor mir, plötzlich das Gleichgewicht und fällt ungeschickt auf den Rücken.
"Are you ready?" frage ich erschrocken.
Der Ami nickt nicht ganz überzeugend und die nächsten Meter laufe ich voraus, wo ich schnell einige Meter zwischen mir und dem jetzt sehr vorsichtig laufenden Amerikaner lege. Ab und zu springen , sogenannte "Runner" in höllischem Tempo an uns vorbei und ich frage mich wie viele von ihnen die 162 km überleben. Wie lange vor allem die Kniescheibe überlebt? Auf jedenfall kommen wir letzten Endes, heil und ohne Knochenbrüche am Campingplatz Paso an. Es ist erst 15 Uhr und wir sind gerade einmal fünf Stunden gewandert und trotzdem so ausgepowert wie noch nie. Mit letzter Kraft baue ich mein Zelt auf dem 600 m hohen Zeltplatz auf, bevor ich mich mit einer warmen Tasse Suppe auf die Holzbank fallen lasse. Mittlerweile regnet es wieder und ich befürchte eine grauenhafte Nacht wartet auf mich, denn trocken ist der Schlafsack noch lange nicht und wird das bei diesem Regen auch nicht mehr. Ich verdränge alle Gedanken an die Nacht, denn eine Alternative besteht nicht. Ich bin müde, mir ist kalt und selbst eine Tasse heißen Tees, nach der heißen Suppe lässt mich nicht warm werden. Um mich herum, ich sitze in einer von einer Seite offenen Holzhuette, pfeift der Wind mit jeder Minute stärker und trägt die kalte Luft vom Gletscher zu uns herüber. Vom Regen berichte ich jetzt nicht mehr. So lange wie möglich sitzt unsere kleine Gruppe zusammengedraengt an dem Holztisch. Der Franzose, der Australier, Ich, die beiden Berliner und drei , vier weitere Chilenen, die Café mit Kognak rumgehen lassen,bereiten sich, jeder auf seine eigene Weise, moralisch auf die Nacht vor. Als es schon dunkel wird springe ich, schon jetzt frierend, durch den Regen zu meinen klatsch nassen Zelt und igele mich mit allen mir zur Verfügung stehenden Kleidern in den feuchten Schlafsack. Eine unvergessliche Nacht bricht an.
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